Jede(r) hat einen persönlichen Tibloc

Erlebnisse und Erkenntnisse aus vier Tagen Hochtourenausbildung

Lange im Voraus wurde dieser Kurs geplant, und Gruppe, Wetter und Unterkunft hätten besser nicht sein können – aber von vorne: Das Ziel war, 12 Personen mit unterschiedlichstem Wissensstand in vier Tagen die Faszination Hochtouren näher zu bringen, umfangreiches Wissen über Verhalten auf dem Gletscher, Tourentaktik und Kameradenrettung zu vermitteln, und dabei auch noch die Freude am Berg im Mittelpunkt zu behalten – ein perfekt inszeniertes Erlebnis in vier Akten.

Tag 1 – Aufstieg zur Rauhekopfhütte – 2731m
Nach etwa zwei Stunden Aufstieg erreicht die Gruppe den untersten Ausläufer des aperen Gepatschferners. Helm auf, Steigeisen an und es folgen die ersten Schritte auf dem ewigen Eis. Die behandelten Themen sind hierbei so vielfältig wie kurzweilig: Taktik und Material, Vertikal- & Frontalzackentechnik und Pickeleinsatz in sämtlichen Variationen. Die Freude am Eis ist bereits auf alle Teilnehmenden übergesprungen, auch wenn es zu diesem Zeitpunkt schon seit einer Stunde regnet. Nach weiteren 30 Minuten Aufstieg endet der Tag mit einem 3-Gänge-Menü der ehrenamtlichen Hüttenwirte Irene und Thomas – ein kulinarisches Bonbon, gemessen an den einfachen Umständen des Etablissements.

Tag 2 – Fixpunkt im Firn & Selbstrettung
Der Ausbildungstag beginnt um acht Uhr. Die Gruppe teilt sich zu den Übungseinheiten Bewegen im Firn bzw. Fixpunktbau T-Anker und Selbstrettung im Fels. Es ist deutlich erkennbar, beide Ausbilder sind auf Betriebstemperatur und bewegen sich in ihrem Element. Menschen fallen, rutschen und sind in der Lage ihrer eigenen Situation wieder Herr zu werden. T-Anker werden ausgerissen oder halten – je nach Kompetenz ihrer Erbauer oder der schieren Menge an Teilnehmenden bei den Ausrissversuchen. Schlussendlich kommt es zur Selbstrettungsübung am Fels, bei der Ausbilder Andy Richter seine Fachkompetenz in einem methodischen Feuerwerk zur Schau stellt. Eine unvergessliche Lektion zum Thema Rücklaufsperre – für alle Beteiligten.Neben der abendlichen Tourenplanung für den nächsten Tag bleibt glücklicherweise genügend Zeit das Gelernte zu rekapitulieren und das Wissen über die technischen Feinheiten der Ausrüstungsgegenstände zu teilen.

Tag 3 – Gipfeltour Weißseespitze & Kameradenrettung
Abmarsch 6:00 Uhr. Die Realität sieht wie immer anders aus, Abmarsch 6:07 Uhr, ein akzeptabler Zustand. Der erste Blick auf den Gepatschferner zeigt gut zu tretenden Firn und ein Test bestätigt die Entscheidung gegen Steigeisen, aber für das Gehen in Seilschaften. Seildisziplin ist gefragt um den Geschwindigkeitsvorteil ohne Steigeisen zu nutzen, das Zeitlimit bis 10:00 Uhr einzuhalten und einen vorzeitigen Rückzug zu vermeiden. Nach einem Aufstieg ohne größere Komplikationen wird die Gruppe erneut von der Realität eingeholt. 10:20 Uhr, Handschläge und Glückwünsche am Gipfel. Leichte Verspätung aber die Stimmung ist ausgelassen. So ausgelassen, dass die Gruppendynamik die veranschlagten 10 Minuten Pause sprengt. Der folgende Abstieg sollte allerdings noch mehr Überraschungen bereithalten. Die wenigen aber doch signifikanten Blankeispassagen in den steileren Stellen der Route sind, durch die tageszeitliche Erwärmung und das abfließende Wasser, trotz geschlagener Stufen zu einem spannenden Unterfangen geworden. Bis auf eine Hand voll kurze Surftrips bleiben sie allerdings ohne Konsequenz für die einzelnen Seilschaften. Es folgt die abschließende Senke des Gletschers. Etwa drei Kilometer flaches, aus Bergsteigersicht eher uninteressantes Gelände, welches der Gruppe aber dennoch länger im Gedächtnis bleiben wird. Die erwähne Erwärmung und das abfließende Wasser geben dem Bereich nicht ohne Grund den Namen „Im Sumpf“, welcher sich dann auch – mal früher, mal später – in jedem Bergstiefel einfindet. Seildisziplin ist gefragt. Der jeweilige Seilschaftsführende bestimmt die Route, der Rest folgt. Funktioniert. Meistens. Einige alternative Routenvorschläge werden im Bach, anstatt vor oder nach der Tour erörtert. Erstaunlich, wie viel in diesem Gelände doch zu lernen ist. Die Gruppe hat trotz allem im Abstieg Zeit gewonnen. Mit nur 30 Minuten Verspätung erreicht sie die Rauhekopfhütte und wird von dem planmäßig eingewechselten Hüttenwirtspaar mit Schorlen, Bier und Kuchen versorgt. Ein erfolgreicher Tag, der mit einer erstaunlich warmen Freiluftdusche enden konnte. Doch, die Eventleitung hat noch mehr auf Lager. Nach kurzer Pause hat die Gruppe noch die Möglichkeit, die Spaltenbergung mit loser Rolle am Fels zu üben. Stilecht in Adiletten und Filzpantoffeln versteht sich. So endet ein weiterer Tag mit Erfolgen, schönen Geschichten, einem Kubikmeter Spaghetti mit Linsensauce und einem Naturschutzspiel von Michij.. Kugelmann

Tag 4 – Spaltenbergung & Abstieg
Spannung liegt in der Luft, nach etwa 20 Minuten Abstieg beginnt die letzte Übung mit Fixpunktbau im Eis mittels Eissanduhr und Eisschrauben. Nachdem die Stände an der Übungsspalte auf dem aperen Gletscher, oder wie es Andy Richter formuliert “am Schlund der Finsternis” gebaut sind, versuchen sich drei wechselnde Dreierseilschaften an der Spaltenbergung mit loser Rolle unter realistischen Bedingungen. Das Ergebnis spricht für sich, das Nervenkostüm der Ausbilder ist weitgehend intakt und bis auf den kleinen Finger eines Handschuhs und ein paar Kratzer an der Hand durch Steigeisen, sind keine Verluste zu beklagen. Es folgt ein unschwieriger zweistündiger Abstieg zum Parkplatz, garniert mit schönen Gesprächen, Anekdoten und eine kurze Abschlussbesprechung mit einem lang ersehnten Kaba, Weißbier und/oder Topfenstrudel.

Fin
Die Faktenlage ist nun klar. Was allerdings nur schwer zu vermitteln scheint, ist die allseits gute Stimmung, die schönen – wenn auch manchmal nur kleinen – Erlebnisse. Die guten Gespräche, die teilweise bis weit nach der Hüttenruhe geführt wurden oder die Motivation und das Engagement, die jede:r einzelne in den vier Tagen gezeigt hat. Es bedarf guter Organisation und die Mithilfe aller anderen, um in einer solchen Umgebung eine gute Zeit zu verbringen. Das war uneingeschränkt der Fall. Im Namen aller Beteiligten, danke Michij.., danke Andy, wir haben viel gelernt und viel gelacht.

Christoph Wende